Sven Kulka, Redakteur
  Texte     Indien: Markt der Zukunft

Der Mittelstand ist seit vielen Jahren auf dem Subkontinent erfolgreich. Ein Beispiel.

Indien steckt voller Widersprüche. Hochtechnologie und Analphabetismus, Demokratie und Fundamentalismus, Reichtum und Massenelend. Ein Land, das sich auf dem Weg zur Wirtschaftsweltmacht befindet, ein Markt, den der Spezialist für Tank- und Parksysteme Hectronic für sich entdeckt hat.
Seit einem Jahr ist das Unternehmen mit einer eigenen Niederlassung auf dem Subkontinent vertreten. Angefangen hat alles schon fünf Jahre früher, als das Unternehmen einen Teil seiner Software-Entwicklung nach Indien verlagerte. Doch darauf sollte sich die Verbindung nicht beschränken. „Ein Markt mit diesem Potenzial bietet für ein international agierendes Unternehmen phänomenale Möglichkeiten“, sagt Hectronic-Chef Stefan Forster. Seit 2001 war der Hectronic-Chef immer wieder in Indien unterwegs. Er knüpfte Kontakte, erkundigte sich über die Infrastruktur: Wo gibt es eine Autobahn, wie sind die Eisenbahnverbindungen, wo befindet sich der nächsten Flughafen? Und Forster beobachtete nicht nur den Markt, sondern vor allem auch Land und Leute. Nach fünf Jahren intensiver Landeskunde eröffnete Hectronic 2006 im Rahmen einer Pooja-Zeremonie eine neue Niederlassung, 30 Minuten vom Zentrum der Industriemetropole Bangalore entfernt. „Wir waren alle sehr stolz, als Rajesh Chandrasekhara, der Leiter des neuen Standorts, die landestypische Segnung vornahm. So haben wir für die Zukunft die Gunst der Götter für unser Unternehmen in Indien“, sagt Stefan Foster. Hectronic betritt in Indien in vielerlei Hinsicht Neuland. „Wir leisten zum Teil echte Pionierarbeit und krempeln unsere bisherigen Arbeitsabläufe völlig um“, sagt Frank Gampp, Produktmanager für den Bereich Tanken bei Hectronic.
Das Tankverhalten der Inder beispielsweise sei in dieser Region komplett anders als bei den Deutschen. Die Inder tankten überwiegend Kleinstmengen für Mopeds, sagt Gampp: „Schnell noch zwei Liter in den Tank und schon geht es weiter.“ Und wer tankt? Der Tankwart, „der morgens seinen Dienst am Tankautomaten beginnt und bis zum Abend die Zapfpistole nicht mehr aus der Hand gibt“. Viel beschworen werden das Chaos und die Vielfalt Indiens, die westliche Besucher faszinieren und zugleich oftmals überfordern. Und wie in den meisten Klischees steckt auch in diesem ein wahrer Kern: Der Subkontinent - siebtgrößtes Land der Welt und neben China das einzige mit mehr als einer Milliarde Einwohner - ist so gegensätzlich wie kaum eine andere Nation.
Doch was so faszinierend klingt, kann auch problematisch sein. „Vor allem in der beruflichen Zusammenarbeit mit Indern spüren wir teils großen Unterschiede in der Mentalität und Arbeitsweise“, sagt Stefan Forster. Der persönliche Kontakt und das Vertrauen seien beispielsweise wichtiger als ein ausgeklügelter Vertrag, wie es in Deutschland der Fall ist. Auch die Führungskultur sei anders und viel mehr als in Deutschland durch Hierarchien geprägt. Respekt verschaffe sich der Chef durch Distanz und durch seine vererbte soziale Stellung, so Forster. Und der Chef lege nie selbst Hand an, er delegiere, dirigiere, lenke.
„Der Chef legt ungern selbst Hand an“ – das mag für manchen nicht sonderlich exotisch klingen. Aber das vielleicht: Als der Hectronic-Chef in Indien die Niederlassung aufbaute, sorgte sein Umgang mit Zeit bei den Kollegen oftmals für Unverständnis. Warum? „Weil Inder mit dem Faktor Zeit sehr viel entspannter umgehen und dazu neigen, zu optimistisch zu planen“, erinnert sich der Hectronic-Chef. Als Forster damals einmal seinen indischen Geschäftspartner leicht nervös dazu drängte, sich nun doch etwas zu beeilen, damit man den Termin nicht verpasse, habe dieser auf seine Schweizer Wurzeln zielend geantwortet: „Herr Forster, Sie in der Schweiz haben die Uhren, wir in Indien die Zeit.“ Auch der Umgang mit offener Kritik ist vielfach anders bei den Indern. „Die ist nämlich verpönt“, sagt Stefan Forster.
Wer eine Meinung äußere, der tue das lediglich indirekt - etwa durch die Verweigerung einer Antwort. Ein Jahr nach der Eröffnung arbeiten heute 20 Mitarbeiter in der indischen Niederlassung und die Geschäfte laufen gut. Ein Großauftrag für die Lieferung von 5.000 Füllstandsmesssystemen für die Tankstellen des Mineralölkonzerns Indian Oil macht das Unternehmen derzeit zum Marktführer in diesem Bereich. Und Stefan Forster will „weiter wachsen“. Weiter wachsen in den beiden Produktbereichen Parken und Tanken, den Standort weiter ausbauen. Und vom Erfolg etwas abgeben. Senior-Chef Ernst Forster ist Vorsitzender des im Oktober 2006 gegründeten Gandhi-Club Deutschland. Vereinszweck: bedürftigen Menschen in Indien helfen. „Das ist auch eine Möglichkeit, sich in ein Land zu integrieren, eine Kultur besser zu verstehen“, sagt Forster. Das größte Projekt der Initiative ist der Bau eines neuen Dorfes: Vallamedu. Was so viel bedeutet wie „Dorf im Sumpfgebiet“. Es liegt im Bundesstaat Andhra Pradesh und damit im Südosten des Landes, einer der ärmsten Regionen Indiens.

Artikel im Fachbuch "Interkulturelles Management", Ausgabe 2007/2008